- 23. LUST, April/Mai `94
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- Witze
- Gibt es Witze für, von,
über, gegen Lesben? Wir haben versucht, welche zusammenzutragen,
es ist uns aber nicht gelungen. Möglicherweise hat dies
damit zu tun, dass Lesben in der Stammtischmeinung die Frauenrolle
nicht derart in Frage stellen, wie Schwule dies mit der ach so
verwundbaren Männerrolle offensichtlich tun, zumindest in
der Beurteilung der Stammtische. Solltet Ihr irgendwelche Lesbenwitze
kennen, sendet sie uns bitte zu. Das Thema Witze haben wir bei
einer Veranstaltung der ROSA LÜSTE kurz vor Fastnacht behandelt. Hier das
Referat.
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- 1. Definition
Kleine Erzählungen,
die bei den Zuhörern, zumindest aber beim Erzähler,
Heiterkeit hervorrufen.
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- 1.1. psychologische Definition
Witze beinhalten Sachverhalte,
die Angst auslösen (verunsichern). Sie dienen dem Angstabbau
oder der Abreaktion von Spannungen.
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- 1.2. soziologische Definition
Witze werden erzählt,
um durch Abgrenzungen Gemeinsamkeiten zu erzeugen. Innerhalb
von sozialen Gruppen sollen sie die Rangordnung und die Rollen
entstehen lassen oder festigen.
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- 1.3. politische Definition
Es gibt politisch progressive
und reaktionäre Witze. Die politische Satire ist progressiv.
Sie versucht, politische Personen zu entlarven, zumeist feierliche
Stimmungen, z.B. nationalistische Verklärung, sie versucht,
emanzipatorische Aufklärung zu bewirken. Reaktionäre
Witze diskriminieren Menschen wegen unangepassten oder außergewöhnlichen
Verhaltens und erzeugen einen Anpassungsdruck. "Unpolitische"
Witze habe zumeist letztere Funktion. Hierzu kommen noch die
offen rassistischen Witze.
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- 1.4. medizinische Definition
Witze bewirken eine vorübergehende
Entladung von psychischen Verkrampfungen. Sie können nicht
wirklich befreien, weil dadurch die gesellschaftlich-politischen
Ursachen der psychischen Verkrampfungen nicht beseitigt werden.
Während des Entladungsvorgangs verzieht sich das Gesicht
krampfartig, die Patienten ringen nach Luft, das Gesicht rötet
sich, vielfach werden Tränen abgesondert, häufig entweicht
die Luft hustend oder in schrillen Schreien. Die Geräusche
sind umso lauter, je stärker die Verkrampfung ist. (Dies
sollte ein Witz sein!)
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- 2. Witze konsumieren
Wenn Witze erzählt
werden, können nicht immer alle lachen. Das Verstehen der
Pointe ist nicht immer von der Bildung abhängig, sondern
von den Einsichten in bestimmte Bereiche. Aber auch bei Verstehen
der Pointe muss nicht jeder lachen. Lachen muss der, der an dieser
Stelle irgendwie verkrampft ist, nicht nüchtern darüber
nachdenken kann. Am häufigsten wird über das Missgeschick
anderer gelacht. Schadenfreude wird offensichtlich als sehr witzig
empfunden. Je mehr Missgeschicke und ähnliches man selbst
erlebt, umso mehr Situationen anderer wird man als witzig empfinden.
So gesehen kann man grob schließen, dass niedere soziale
Schichten, die durch ein Korsett von Tabus und Ängsten in
ihren Rollen gehalten werden, mehr Dinge als witzig empfinden
als beispielsweise ein gebildeter Mensch, dem die Zusammenhänge
klar sind, der sich aufgrund seines sozialen Status zu wehren
gelernt hat und deshalb solche Befriedigungen durch Witze nicht
nötig hat. Als besonders humorlos in diesem Bereich mag
der gelten, der eher Mitgefühl als Schadenfreude empfindet.
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- 3. Normierung und Normbruch
Der Witz bietet aber
die Möglichkeit des verbalen Normbruchs, nicht nur im Bereich
der Schadenfreude. Für Kinder mag vielleicht schon die Aussprache
eines sogenannten schmutzigen Wortes witzig sein, bei Erwachsenen
sind es eher gewisse Verhaltensweisen. Der Normbruch ist ja im
Prinzip progressiv, kann sich aber auch als einfach Enthemmung
reaktionärer oder diskriminierender Tendenzen zeigen, die
durch größere Ängste oder Tabus oberflächlich
zurückgehalten werden. Man sollte aber bedenken, das "schlimme
Wort" bleibt weiterhin schlimm und wird im Witz geradezu
als schlimm bestätigt; das schlimme Verhalten bleibt weiterhin
schlimm, der Mensch (der sich schlimm verhält) wird als
lächerlich schlimm oder (in Ausnahmefällen) als verwegen
schlimm hingestellt. Das Letztere wäre progressiv, weil
es den Normbruch in irgendeiner Form positiv bewertet. Der Witz
von Minderheiten könnte derart sein: etwa nach dem Motto
"Na und? Nun erst recht!" oder ähnlich.
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- 4. Witze erzählen
Der Witze-Erzähler
verfolgt die Absicht zu renommieren. Dies gelingt ihm am besten,
wenn er bestehende Vorurteile bestätigt. Daher übt
er einen Anpassungsdruck aus. Oder er verfolgt die Absicht des
Normbruchs. So ist z.B. der erotische Witz in einem Männerkreis
durchaus ein erotisches Verhältnis zwischen diesen Männern,
selbst wenn die Witze heterosexuell sind.
Ist der Witze-Erzähler am schwulen Kontakt interessiert,
so wird er seine Witze eher alleine einem Partner erzählen,
ohne soziale Kontrolle durch die anderen, er kann dann auch besser
auf Reaktionen reagieren. Der Anmachversuch in einer Gruppe kann
scheitern, selbst wenn der andere wollte. Er kann nicht positiv
reagieren, und die anderen spielen ja schließlich auch
mit und reagieren in ihrem eigenen Interesse.
Der Witze-Erzähler muss vor einer Menge ankommen. Er muss
den Zuhörern einerseits verständlich sein und dann
auch noch die Stimmung treffen, vielleicht noch steigern. Das
geht eigentlich nicht durch einen deutlichen Normbruch oder intellektuelle
Aufklärung. Es geht besser durch das Verächtlichmachen
eines Verhaltens, das alle als verächtlich empfinden (und
wenn nicht, müssen sie vorgeben, es verächtlich zu
finden). Man kann dann in schenkelklatschender Gemeinsamkeit
verweilen.
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- 5. Minderheiten-Witze
Jeder Mensch ist eine
Minderheit und somit alleine. Um nicht alleine sein zu müssen,
hat er die Sehnsucht nach Gemeinsamkeiten mit anderen. Die großen
Manipulationsorgane ihrerseits erklären uns, was alles Gemeinsamkeiten
sind. Wer darauf hereinfällt (also nahezu alle), kommt ständig
in die Lage, Gemeinsamkeiten zu beweisen und sich von denen zu
distanzieren, die diese Gemeinsamkeiten nicht in allen Punkten
aufweisen. Dies geschieht z.B. durch gemeinsame Kleidung, angewöhnte
Verhaltensweisen (Wie geht ein Mann?), durch die Mode, durch
verächtliches Reden, also auch durch Witze. Wer dieses System
durchschaut, verhält sich vielleicht anders, wird aber nicht
nur von niemandem verstanden, sondern sogar aggressiv verfolgt.
Wer sich teilweise anpasst, kompensiert sein teilweises "Fehlverhalten"
durch Überanpassung in anderen Bereichen. Denn wer das ganze
Prinzip nicht ablehnt, ist über irgendeine Ecke integrierbar.
Sogenannte Minderheiten sind in irgendeiner Form zumeist überangepasst.
Dadurch stabilisieren sie das Prinzip. Ein Jude kann durchaus
Schwulenwitze erzählen und ein Türke Judenwitze und
ein Schwuler Türkenwitze (oder umgekehrt).
Minderheitenwitze sind keine politische Satire. Sie werden nicht
von der betreffenden Minderheit gegen die arrogante Mehrheit
als Aus- und Abgrenzungsmittel verwandt. Die Minderheiten haben
hierbei nichts zu lachen. Höchstens bei solchen Witzen,
bei denen die Minderheiten unter sich noch Minderheiten ausmachen,
wenn z.B. "normale Schwule" sich von Tunten,
Päderasten oder "schmutzigen alten Männern"
abgrenzen.
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- 6. Schwulenwitze
Wie andere Minderheitenwitze
sind Schwulenwitze merkwürdige Kurzgeschichten über
Schwule aus heterosexueller Sicht. Sie sollen abgrenzen und verächtlich
machen. Daran ändert auch das tragikomische Verhalten, dass
sich manche Schwule darin gefallen, solche Witze zu erzählen,
nichts. Ich möchte diese Witze in vier Kategorien einteilen:
1. Entlarvung, 2. der lächerliche Schwule, 3. Analtrauma,
4. der lustvolle Normbruch.
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- 6.1. Entlarvung
Ein wegen homosexuellen
Kontaktversuchs straffällig gewordener Schwuler wird deshalb
vor den Richter geführt. "Oh, Detlev", ruft der
überrascht aus und stürzt auf den Richter zu, "hier
arbeitest du also!"
Anruf beim Polizeirevier: "Bitte kommen sie schnell, hier
in der Straße prügelnsich die Nutten mit den Schwulen!"
"Hoffentlich gewinnen wir", antwortet der Polizeibeamte.
Die größte Angst vieler Schwuler ist es, als schwul
erkannt zu werden. Und wirklich, Männer und Frauen sind
zum großen Teil daran interessiert, herauszufinden, ob
jemand schwul ist. Eigentlich wäre es ja egal, aber man
kennt ja die Witze und weiß, welche Vorstellungen sich
hinter dem Urteil "schwul" verbergen. Für den
Hetero oder die Hetera ist aber die Erkenntnis alleine deshalb
wichtig, um den möglichen Rivalen bzw. Sexpartner ausfindig
machen zu können. Jeder Schwule kennt die Situation, die
sich daraus ergibt, dass die Kollegen, Mitschüler usw. wissen,
dass man schwul ist. Ihr Verhalten ändert sich. Man wird
mehr beobachtet, und da die Heteros natürlich auch ihre
Vorurteile haben, wird das Leben schwieriger. P1ötzlich
wird vieles auf die Homosexualität zurückgeführt,
was allen passieren kann, z.B. wenn im Betrieb etwas vorfällt.
Es bereitet so manchem Hetero Lust, herauszufinden, dass irgendjemand
Hochstehendes "nur ein Schwuler" ist. So ist bei den
Witzen dieser Kategorie der Entlarvte meistens irgendwie hochstehend
oder eine Respektsperson, die durch die Entlarvung erniedrigt
wird. Besonders amüsiert den Hetero, wenn die Schwulen sich
gegenseitig fertig machen, wie im ersten angegebenen Witz.
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- 6.2. Der lächerliche
Schwule
Bei diesem Witz kommt
es häufig auf den Erzähler an, beziehungsweise auf
seine Interpretationskunst. Er muss das, was Schwule sagen, ganz
besonders tuntig bringen. Viele Heteros können dies überraschend
gut. (Auch bei dem letzten Satz akzeptiere ich das Negative der
Tunte und versuche den heterosexuellen Erzähler dadurch
niederzumachen.) Der Schwule wird als Mensch dargestellt, der
ständig vergeblich Männer anmacht, in der Absicht,
sich durchficken zu lassen.
Zwei Männer gehen durch die Straßen. Sagt der eine:
"Ich bin so geil, dass ich einen Hund ficken könnte.
"Sagt der andere (besonders tuntig): "Wau wau!"
In diesen Witzen sind Schwule keine Männer, stehen noch
unter der Frau, die ja sowieso als niedriger als der Mann angesehen
wird.
Detlev sagt im Bus zu einer Frau: "Wären sie nicht
ganz gerne manchmal ein Mann?" Die Frau antwortet: "Und
Sie?"
Das Lächerliche ist also das Nicht-Einhalten der Männerrolle.
Der Anmachvorwurf kommt auch aus den Erfahrungen des Heteros,
der es entsetzlich findet, in einer Weise angemacht zu werden,
wie Männer eben um ihre gewünschten Sexualpartner werben.
Das fällt ihnen jedoch erst dann auf, wenn sie selbst Objekt
sind. Schwule sind also lächerlich, weil sie Männer
anmachen, sind tuntenhaft und unmännlich. Sie finden keine
Erfüllung (finden keine Partner), führen ein lächerliches
Leben usw. Es ist also nicht erstrebenswert schwul zu sein.
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- 6.3. Analtrauma
Für die Heteros
ist der Analverkehr offensichtlich das Bemerkenswerteste an der
schwulen Sexualität. Da wünschen die Schwulen, dass
man ihnen einen Presslufthammer in den Darm steckt oder im Darm
einen Schirm aufspannt, Fürze seien Liebesgeflüster
der Schwulen und anderes mehr. Hier scheint der Knackpunkt für
die Heteros zu sein, den Männersex bedeutet ficken und nicht
gefickt werden.
Die zusammengekniffenen Arschbacken machen den Heteromann aus.
Und genau das ist ja auch die Achillesferse des Heteros, genauer
gesagt, das ist die weiche Stelle, wo das Drachenblut nicht hinkam
und Siegfried verletzlich war, wo der böse Hagen sein Schwert
reinsteckte. Einige Witze dieser Art sind auch über Frauen
zu hören, die sich nicht so gerne bumsen lassen wollen.
Vielleicht bildet sich so mancher Witze-Erzähler ein, die
Schwulen (oder die Frauen) würden sich so gerne gerade durch
ihn in dieser Weise auf masochistische Art demütigen lassen,
denn sein Kummer ist ja, dass diese Bestätigung seiner Männlichkeit
selten ist.
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- 6.4. Der lustvolle Normbruch
Der Normbruch geschieht
durch das Bejahen von Homosexualität und Partnerwechsel.
Treffen sich zwei Schwule. Fragt der eine: "Wohin fährst
du denn dieses Jahr in Urlaub?" Antwortet der andere: "Nach
Marokko." "Du Schwein", sagt der eine, wohl wissend,
was in Marokko möglich ist. "Aber nein", meint
der andere, "wo denkst du hin. Ich fahre doch mit meinem
Freund." Daraufhin der eine: "Du dummes Schwein!"
Der Normbruch des Fremdgehens wird hier positiv bewertet.
"Ich habe mich verliebt!" sagt Paul zu seiner Mutter
in Belfast. "In wen denn?"
fragt die Mutter. "In Mike, den Sohn des Bäckers",
antwortet Paul. "Was für eine Schande! Der ist doch
protestantisch!" antwortet die Mutter.
Der Hetero lacht hier wohl darüber, dass die Nordiren so
im Religionszwist vernagelt sind, dass sie das Naheliegende und
Schwerwiegende nicht mehr erkennen können. Der Schwule lacht
darüber, dass er durch einen größeren Konflikt
entlastet ist und dass solche Vorurteile allesamt unsinnig sind.
Es kommt also bei vielen Witzen auch auf die Auslegungsmöglichkeiten
aufgrund der eigenen Identität an.
"Was ist das! Hat zweiundzwanzig Schwänzchen und macht
trallala?" "Es ist der
Wiesbadener Knabenchor (Name der Stadt variabel)."
Man kann bei den hier vorgefundenen Witzchen eigentlich keine
Diskriminierung der Schwulen entdecken und die Knaben werden
eventuell als sexuelle Wesen dargestellt.
Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen,
dass der diskriminierende Schwulenwitz nicht dadurch besser wird,
dass er von Schwulen erzählt wird. Da Witze zumeist etwas
Diskriminierendes haben, schlage ich vor, keine Witze zu erzählen.
Das heißt nicht, dass man humorlos werden soll. Aber wenn
schon Humor, dann bitte auf Kosten eines diskriminierenden Verhaltens
oder auf Kosten reaktionären Verhaltens. Darüber jedoch
Witze zu machen, ist schwierig, weil die Reaktionäre und
Diskriminierer bis zum Mord gehen.
- (Joachim
Schönert)
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