- 44. Lust: Okt./Nov 97
- Sprache und Homosexualität
Bei diesem Referat geht es
um einen politischen Bereich, zwei Wissenschaftsbereiche, die
Soziolinguistik und die Psycholinguistik, in denen meines Wissens
bislang noch nicht speziell nach der sexuellen Identität
geforscht wurde, und den sozialwissenschaftlichen Literaturstudien,
in denen in der Literatur nach Belegen einer "homosexuellen
Sichtweise" geforscht wird.
Wenn heterogeneormte Jugendliche
auf abwertende Art über Homosexuelle (womit sie eigentlich
immer nur männliche Homosexuelle meinen) sprechen, wenn
dabei das homosexuelle Sprachverhalten zur Karikatur gemacht
werden soll, dann geht es selten um die Wortwahl, sondern um
die Betonung. Demnach dehnen Schwule die Vokale, machen aus klaren
Sätzen irgendeinen Singsang, benutzen dauernd den Namen
Detlev, wobei sie aus dem D ein T machen. Die unterstellte Wortwahl
hat etwas mit den Unterstellungen mancher verklemmter Heteros
zu tun, mit ihren merkwürdigen Vorstellungen über Analverkehr,
der für sie das eigentliche Übel darstellt.
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- 1. Sprache und Politik
Es ist eindeutig, daß
die Sprache nicht wertfrei schlicht ein Verständigungsmittel
ist, sondern ein Sammelsurium tradierter sozialer Bezüge
und Spiegel gegenwärtiger sozialer Verhältnisse. Nehmen
wir das gesellschaftliche Oben und Unten, das mit bestimmten
Begriffen gerechtfertigt wird. Zum Beispiel das Wort "asozial".
"Sozial" kommt vom lateinischen Wort für Bruder,
dem Socius. Das A steht für Anti. Wenn jemand auf der Straße
landet und bettelt, nennen ihn die Leute einen Asozialen. In
Wirklichkeit müßte man nun die Unternehmer, die ihn
rausgeschmissen haben, die Vermieter, die eine Zwangsräumung
durchsetzten, die Gesellschaftsordnung, die eine solche "Normalität"
zuläßt, als anti-brüderlich bezeichnet werden,
als asozial. Es gibt viele solche belegbaren Beispiele. Die Sprache
verrät auch, daß Mädchen wie eine Handelsware,
eine Sache angesehen wurden, denn sie sind nicht weiblich, sondern
sächlich. "Privare" heißt rauben, etwas
privatisieren heißt somit, es von der Allgemeinheit zu
rauben, dies gilt aber heutzutage als normal und als positiv.
Frauen werden oftmals nicht ausdrücklich genannt, sie zählen
nicht selbständig, zählen als Anhängsel von Männern
einfach mit. "In Deutschland wurden Juden verfolgt",
liest man (mann/frau) und fragt sich, ob Jüdinnen automatisch
mit verfolgt wurden. Die Sprache verrät unsere Geschichte
und zum Teil noch Gegenwart, daß eben Frauen selbstverständlich
dabei sind, wenn irgendwo Männer sind.
Versuche, politisch regulierend einzugreifen, sind aber zumeist
zum Scheitern verurteilt, wirken auch oft komisch. Absurd war
die Wortschöpfung der "FrauenLesben", um das Verschweigen
der Lesben unter Frauen zu verhindern, als seien Frauen keine
Lesben und Lesben keine Frauen. "Die Erektion" soll
zu "der Erektion" werden usw.
Gibt es eine Männersprache oder eine Frauensprache? Eindeutig:
nein. Aber unsere Sprache ist u.a. auch patriarchalisch, weil
sich unsere patriarchalische Geschichte und zum Teil auch Gegenwart
darin entlarvt. Der begangene Irrtum besteht darin, daß
kunstvolle Eingriffe in die hierarchischen Strukturen der Sprache
nicht in der Lage sind, die Hierarchie zu beenden, deren authentischer
Spiegel diese Sprachstrukturen sind. Aber es gilt, Hierarchien
in und mittels Sprache zu hinterfragen, zu entlarven, um sie
zu beenden. Dann werden die Hierarchie-Kennzeichen in der Sprache
ihre Bedeutung verlieren können.
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- 2. Soziolinguistik
Die unterschiechtlichen
sozialen Schichten in der Gesellschaft verwenden einen ganz bestimmten
Kode (Code), der gerade in ihrer Schicht ein großes Maß
an gegenseitigem Verstehen ermöglicht, der es Angehörigen
anderer sozialer Schichten erschwert, gleiche Sprech- und Verstehensebenen
aufzubauen. Daraus entwickeln sich Sympathie uns Antipathie und
letztlich gesellschaftliche und berufliche Barrieren oder Chancen.
Basil Bernstein untersuchte das Kommunikationsverhalten englischer
Unterschichtskinder und entdeckte Unterschiede gegenüber
Mittelstandskindern, die dazu führen, daß schon alleine
aus diesem Grund Unterschichtskinder weniger Chancen in der Gesellschaft
haben, denn die Lehrkräfte und Prüfer seien Angehörige
des Bildungsbürgertums. Unterschichtskinder benutzen z.B.
häufiger Rückversicherungsfloskeln wie "gell"
oder "ja?", können keine Redepausen vertragen,
die sie mit Sprachfloskeln und tausendmal gehörten Metaphern
füllen, reihen Hauptsätze aneinander und sprechen eher
gegenständlich plakativ und pauschalisierend. Er nennt ihr
Sprachverhalten "restringiert", also eingeschränkt.
Im Gegesatz dazu verhält sich der Mittelstand sprachlich
differenzierter, in dem er Pausen zum Überlegen zuläßt,
mehr Eigenschaftswörter benutzt, ganze Satzgefüge mit
Nebensätzen konstruiert und von plakativen Metaphern eher
abstrahiert. Er nennt dieses Sprachverhalten "elaboriert",
also hervorgehoben. Die Oberschicht verhalte sich sprachlich
wie der Mittelstand. Das unterschiedliche Sprachverhalten hat
nichts mit unterschiedlicher Intelligenz zu tun. Basil Bernsteins
Konsequenz aus dieser Analyse war es, einen sogenannten "kompensatorischen
Sprachunterricht" zu empfehlen, der es den Menschen, der
sich sprachlich im "restringierten Kode" aufhält,
in die Fähigkeit versetzt, zu "dekodieren". Damit
sollten auch Unterschichtskinder berufliche Chancen erhalten
könnten. Die Kritik an diesem Denkansatz, beispielsweise
durch Ulrich Oevermann, bestätigt die Beobachtungen, zieht
aber andere Schlüsse. Über die sozial bedingten Schichtensprachverhalten
hinaus verfügt die Menschen der sozialen Schichten in unterschiedlichen
sozialen Sprachverhaltenssituationen die Fähigkeit, sich
auf diese einzustellen. Ein Arbeiter verhält sich z.B. unter
Kollegen sprachlich anders als gegenüber seiner Frau, seinem
Chef oder in seinem Verein. Desweiteren sind noch Fragen der
individuellen psychischen Entwicklung, der persönlichen
Intelligenz usw. zu den Faktoren des Sprachverhaltens zu berücksichtigen.
Außerdem ist es schlicht arrogant, das Unterschichtssprachverhalten
als "eingeschränkt" zu verstehen, es ist nämlich
dem konkreten praktischen Leben angemessener als die abstrakten
Mittelstandsverhalten und, wenn z.B. Gestik und Mimik mit berücksichtigt
wird, genauso ausdruckstark und vielfältig.
- Das Mittelstandsverhalten ist
auch nicht unbedingt "hervorgehoben", sondern beinhaltet
auch viele Ungenauigkeiten und Kürzel. Es ist lediglich
die Bildungsnorm, die über Erfolg oder Mißerfolg im
Bildungsbetrieb entscheidet, in dem Bildungsbürger an den
Schalthebeln sitzen.
Lesben und Schwule befinden sich wie alle gemäß ihrer
sozialen Schicht natürlich auch sprachlich in einer Kode-Verwendung,
aber unabhängig von ihrer sozialen Schicht und ihrem Bildungsgrad
in zwei unterschiedlichen sozialen Sprachverwendungssituationen,
nämlich in der Welt der eigenen Szene und in der Welt der
Heterosexuellen, der offiziellen Welt. In der eigenen Szene gibt
es Wörter und Wortbedeutungen, die in der Hetero-Szene so
nicht verstanden oder nachvollzogen werden können. Allerdings
verschwindet dieser Subkultur-Kode mehr und mehr, wie auch die
Subkultur mir ihren Ingroup-Strukturen zunehmend verschwindet.
Die in den traditionellen Kneipen und Saunen verkehrende Szene
wird kleiner, da der Nachwuchs dort nur noch selten auftaucht.
Große Disco-Paläste locken die homosexuellen Jugendlichen
mehr als die kommunikativen Kneipen, doch entstehen dort subkuturelle
Strukturen selten bis überhaupt nicht, weil dort verbindende
Kommunikationsanlässe fehlen.
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- 3. Psycholinguistik
"Der Psycholinguistik
fällt u.a. die Aufgabe zu, die systematische Variation der
allgemeinen Strukturen von Sprechsituationen in Abhängigkeit
von Variablen der Persönlichkeitsstrukturen zu erklären,
während die Soziolinguistik die systematische Variation
der allgemeinen Strukturen von Sprechsituationen in Abhängigkeit
von Rollenstrukturen zu klären hat," das meint zumindest Jürgen Habermas
zum Untersuchungsfeld.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken. Wer
sich zu konzentrieren versucht, spricht den Gedankeninhalt vor
sich hin. Also: um in eine bestimmte Richtung denken zu können,
dafür sind sprachliche Begriffe wichtig. Es sind überhaupt
bestimmte Grundlagen nötig, um eigene Erfahrungen mit den
erlernten Wörtern zu identifizieren. Es sind ganz betimmte
ordnende Kategorien vorher zu erlernen, damit überhaupt
Sprache erlernt werden kann. Beim Spracherwerb von Kleinkindern
geht man davon aus, daß es eine erste Phase von triebhaften
Lautäußerungen gibt, dann ein Phase relativer Ruhe,
dann erst die Lautmalereien in Zusammenhang mit bestimmten Lebens-
und Beobachungssituationen und Wünschen usw. sowie Interaktionen
mit der Außenwelt. Solche "Begriffe" werden erst
dann zu verwendbaren Wörtern, wenn sie "generalisiert"
sind, also von andreren Mitmenschen so oder ähnlich verstanden
werden können. Über je mehr Begriffe ein Mensch verfügt,
um so genauer kann er zwischen den Begriffen differenzieren,
kann er analytisch (zerlegend) denken. Dies wird allgemein als
intelligentes Verhalten angesehen.
Andererseits wird der Intelligenzquotient bei den Messungen dann
besonders hoch ausfallen, wenn vorher ein gezieltes Sprachtraining
stattgefunden hat. Deshalb ist der methodenkritische Schluß
erlaubt, daß der Intelligenztest im wesentlichen Anpasungsleistungen
an normgerechtes Sprachverhalten ausweist. Sprachliche Vermittlung
könnte also in zielgerichteter Interpretation und Anreicherung
begrenzter Erfahrung, also in der Einübung von normgerechten
Oberflächenverhalten bestehen. Also, indem wir Wörter
erlernen, lernen wir Normen mit. Demnach könnte es eine
relativ willkürliche Setzung sein, was als Intelligenz ausgewiesen
wird. Möchte man die Normierung mittels Sprache in der Weise
verändern, daß Menschen sprachlich authentisch zu
sich stehen können, sind an das Erlernen des Umgangs mit
Sprache ganz bestimmte Forderungen zu stellen: "Didaktisches
Medium zur Anregung von kreativem Begriffsgebrauch ist auf allen
Altersstufen die Motivationsanalyse von Begriffen, und zwar von
vorliegenden anerkannten begrifflichen Schablonen, wie auch von
eigenen erfahrungsgesteuerten Umgangsformen mit ihnen. Hierzu
gehört die Analyse von tabuisierten Begriffen, von Verschleierung
von Sachverhalten durch Einführung von Ersatzvokabular usw."
(Gudula List, 1972).
Ein homosexueller Mensch erlernt lange vor seinem Coming-out
auch die Begriffsschablonen und tabuisierten Begriffe, die es
ihm schwer machen, seine homosexuelle Neigung zu erkennen, indem
er sie positiv benennen kann, und dann zu akzeptieren. Er lernt
überhaupt in der Regel, zu seiner menschlichen Sexualität
an sich nicht zu stehen, da alle Wörter, die offen Sexuelles
benennen, als "Gossensprache" diffamiert wurden. Es
wurden für juristische und medizinische Zusammenhänge
lateinische Begriffe verwendet, die das gewöhnliche Volk
nicht verstand. Sexualität ist also entweder etwas Fremdes
(Lateinisches) oder etwas Unanständiges.
Daß Homosexualität in der volkstümlichen Deutung
immer mit dem Nichterreichen des Zieles "wahre Frau",
"wahrer Mann" verknüpft ist, macht den homosexuellen
Mann "lau", "warm", "halbseiden",
nicht männlich genug, anrüchig usw. Wer will das schon
sein? Wo doch mit "wahrer" Männlichkeit die Distanz,
Tribunterdrückung und Heldenhaftigkeit, das "cool"
sein, verknüpft ist. Und "gebumst werden", das
ist doch auch nicht männlich, sondern den Frauen zugeordnet.
Und das Arschloch gilt nicht nur als schmutzig, sondern ist das
Symbol männlicher Unterwerfung. Wie kann man da erwarten,
daß jemand sich einfach stolz mit seiner sexuellen Neigung
identifizieren kann, wenn er schon beim Versuch, dies in Worte
und konkrete Gedanken zu fassen, sich mit etwas identifizieren
soll, das niemand mögen kann.
Und lesbische Frauen sind keine richtigen Frauen, verweigern
sich ihrer Zweckbestimmung, sind Mannweiber usw. Mit als positiv
definierten Begriffen beschreibt man die weibliche Unterwerfung
unter ihre Rolle als Ergänzung des Mannes.
Der Psychoanalytiker und Autor Tillman Moser (Lehrjahre auf der
Couch, Gottesvergiftung usw.) behauptet, homosexuelle Menschen
machen so etwas durch, das man "narzistische Kränkung"
nennt, ein gesellschaftlich hervorgerufener Konflikt mit der
Selbstliebe, der zu ganz bestimmten Sublimationen, also Ersatzkompensationen
führt, je nach individueller Geschichte, wie Profilierungssucht,
Überangepaßtheit in anderen Bereichen, die sich einer
solchen Kompensation zur Verfügung stellen, wie Moral, Religion,
"Sauberkeit", Obrigkeitsgläubigkeit usw. Ich halte
diese Hypothese für wahrscheinlich. Immerhin kann man ableiten,
daß nach einem geglückten Coming-out, einem emotionalen
Lösen aus diesen Normierundzwängen ein anderer Gefühlshintergrund
beim Benutzen der gleichen Begriffe unterstellt werden kann.
Zum Bespiele wird dann das Wort "schwul" nicht mehr
als abwertendes Wort, sondern als wärme, Heimatgefühl,
Identität vermittelndes Wort empfunden. Viele Lesben und
Schwule verharren aber ihr Leben lang in den sie parziell oder
vollkommen hemmenden Normen und Werten und stellen infolgedessen
sich selbst und ihre Lust in Frage statt die gesellschaftlichen
Verurteilung. Man kann auch von Lesben und Schwulen nichts Übermenschliches
verlangen. Es ist allerdings beschämend, daß es in
der einschlägigen Fachliteratur immer noch die Auffassung
gibt, Homosexualität sei eine psychische Krankheit, statt
die starre Männer- und Frauenrollen sowie die Moral und
ihre jeweiligen Sanktionen als krankmachend zu erkennen.
Ich glaube allerdings nicht, daß aus der Sicht der Psycholinguistik
eine eigenständige homosexuelle Sprachverwendung belegt
oder angenommen werden kann. Es gibt stattdessen einen Szene-Jargon,
in dem auch teilweise andere Werte zum Ausdruck kommen.
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- 4. Literaturwissenschaft
Pasolinis Blick auf die
Dinge, Hubert Fichtes Tiefgründigkeit, Christa Reinigs phantasievolle
Treffsicherheit, Hans Henny Jahnn, Thomas und Klaus Mann, Truman
Capote, Andre´ Gide und Tennesse Williams, Karm May und
William Backfort, Gertrude Stein, Erika Mann, Magred Mead, Winckelmann
und Walt Whiteman, Oscar Wilde, Dijuna Barne, Luise Pusch, Ercule
Tomei, Jean Genet, Hans Siemsen, Emile Zola, Christopher Isherwood,
Jean Cocteau, August von Platen, W.S. Burroughs... Gibt es so
etwas wie einen lesbischen oder schwulen Blick, der sich in den
vielen Werken vieler Autorinnen und Autoren zeigt?
Professor Wolfgang Popp und das Forum "Homosexualität
und Literatur" der Uni - GH Siegen gibt ca. vierteljährlich
ein gleichnamiges Periodikum heraus, in dem aus der ganzen Bundesrepublik
Autoren "literaturwissenschaftliche Homostudien" betreiben,
in der Absicht, den homosexuellen Blick in der Literatur festzustellen.
Diesen speziellen Blick gibt es sicherlich, aber eben nicht generell,
sondern zeitbezogen gemäß dem jeweiligen Umgang mit
Homosexualität und somit der historischen Lage Homosexueller
wie der Sehnsuchtslage gemäß der eigenen individuellen
Lebenssituation der Autoren.
Aber, es gibt auch noch Anderes. Die kitschigsten Liebes- und
Schmachtromane verdanken die heterosexuellen Frauen den unerfüllten
Träumen der sehnsüchtigen Liebhaber zarter Jünglinge,
die ihre Sehnsüchte heterosexuell übersetzt haben.
Der lesbisch-schwule Blick ist vorhanden, läßt sich
zeitweilig auch nachweisen. Es scheint so, als seien die in das
Dualismussystem der heterosexuell genormten Lebensart übersetzten
nichterfüllten Träume ein wesentlicher Bestandteil
der offiziellen (heterosexuell ausgerichteten) Kulturszene, wobei
es nicht darauf ankommt, daß dort einige Frauen mit Frauen
und einige Männer mit Männern verkehren, denn sie beschreiben
dies mit solchen Worten und Vergleichen, die aus der genormten
heterosexuellen Lebensart entstanden sind. Um im Kulturbetrieb
erfolgreich sein zu können, muß man doch bestimmte
"Selbstverständlichkeiten" bedienen. Und im Umkehrschluß
ist auch die offizielle Lesart, die ofizielle Kulturszene mit
ihrem angeblich werfreien Kunstbegriff und objektiven Qualitätskriterien
trendbildend für unsere Szene.
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- 5. Schlußfolgerung
Die Lesbe, der Schwule,
wir werden nicht durch unsere Sprache "dem Schlächter"
verraten, denn wir benutzen die gleiche Sprache in der gleichen
moralisierenden Ausprägung, haben die gleichen sprachlichen
Tabus und verschleiernden Ersatzbegriffe. Sonst könnten
wir uns nicht verständlich machen. Manche von uns benutzen
in der Szene diese Sprache mit anderen Bedeutungshintergründen,
angereichert mit dem Fachjargong, dem Szene-Code. Aber diese
alte kommunikative Szene stirbt aus, und eine neue eher konservativ
eingestellte Jugendszene, die bewußt den Kontakt sowohl
mit älteren politisch engagierten Lesben und Schwulen als
auch mit den alten lesbischen und schwulen Strukturen bricht,
lernt ihn nicht mehr.
Das ist ja das Problem von Emanzipation, daß man sich nur
in unemanzipierten Vorgaben äußern darf, ohne Anstoß
zu erregen. (Zwar wäre durch drastisches Benennen manches
klarer, verstieße aber gegen den sogenannten guten Geschmack.).
Äußert man sich außerhalb dieser Vorgaben, gibt
man sich natürlich die Freiheit, neu zu strukturieren.
Aber gerade darauf sind ein großer Teil unemanzipativer
Meinungsführer aus den eigenen Reihen spezialisiert, daß
sie mit den Augen "des Schlächters" die Uneinsichtigen,
Unangepaßten, die "Schlimmen" also, erkennen
und zur Ordnung rufen wollen, die sie bekämpfen oder als
Treppenstufen für ihren eigenen Profilierungsinteressen
benutzen wollen, und zwar je weiter sie von einem eigenen geglückten
Coming out entfernt sind um so mehr.
Und so hat wohl Brecht seinen Satz verstanden, daß andere,
freiere Selbstverständlichkeiten, die sich in spachlichen
und schriftlichen Inhalten zeigen, den Angepaßten und Unemanzipierten
die Angriffsfläche bieten, die diese gerne ausnutzen wollen,
damit ihnen ein kleines Stückchen vom großen Machtkuchen
unter den Tisch geworfen wird. Denn nach Brosamen schnappen ist
ihnen lieber als ein kleines Bißchen eigener Befreiung,
mit der man sich doch so unendlich besser fühlt. (Joachim Schönert)
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